Scandal Love Read online
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Baron »Vicious« Spencer.
Die ganze Etage war ein Tohuwabohu aus klingelnden Telefonen, tratschenden Frauen in Bleistiftröcken von St. John und debattierenden Männern in Maßanzügen. Elfenbeinfarbener Granit und Sitzmöbel aus antikem dunkelbraunem Leder prägten die Optik des Empfangsbereichs von VHH. Deckenhohe Fenster boten eine phänomenale Aussicht auf das hässlich-schöne, künstlich-reale, harsche Los Angeles in all seiner Pracht.
Und inmitten dieser luxuriösen, verschwenderischen, Macht verströmenden Umgebung begegnete ich dem Mann, der an der All Saints High sogar mehr als zehn Jahre später noch einen derart legendären Ruf genoss, dass man kürzlich eine Bank nach ihm, Vicious, benannt hatte.
»Wenn Sie schon einen ganzen Artikel über das Börsenwesen abkupfern, dann doch verflucht noch mal nicht ausgerechnet aus der Financial Times. Wer hat Sie Schwachkopf als Leiter der PR-Abteilung angeheuert? Wer?« Der Typ mit dem glatten rabenschwarzen Haar und den dunkelblauen Augen schleuderte einem schockiert dreinblickenden jungen Mann einen Stapel Unterlagen entgegen. Sie fielen wie Hagelkörner auf den Fußboden, nicht wie Konfetti. Vicious’ Kiefermuskel zuckte, als er seinem Gegenüber den Finger in die von einem gebügelten Hemd verhüllte Brust stieß.
»Bringen Sie diese Scheiße in Ordnung, bevor Sie die zweieinhalb Fotos von ihrer beschissenen Familie einpacken, die Sie vermutlich mitgebracht haben, um Ihr briefmarkengroßes Büro zu schmücken, Sie geistiger Tiefflieger. Sie haben Zeit bis um fünf, weil ich bei meinem Sechs-Uhr-Meeting so auftreten möchte, als wäre das alles hier nie passiert. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Fast alle Personen auf der Etage hatten sich in einem Halbkreis versammelt, um sich die Show anzusehen. Niemand wies Vicious wegen seines schofeligen Benehmens zurecht. Nicht einmal mein Vater. Alle schienen zu viel Angst vor ihm zu haben. Mir tat der PR-Bursche, der murmelte, dass sein Name Russell sei, zwar furchtbar leid, aber ich wollte meinen ersten Arbeitstag nicht damit beginnen, noch mehr Leute gegen mich aufzubringen.
»Bitte, Sir. Sie können mich nicht feuern.« Russell schien nahe dran, auf die Knie zu fallen. Es war die reinste Folter, ihm zuzusehen. Ich machte mich ganz klein in dem zweckmäßigen schwarzen Wollkleid eines französischen Designers, das ich an diesem Morgen aus dem Kleiderschrank meiner Mutter gemopst hatte, und versuchte, keine Miene zu verziehen.
»Ich kann, und ich werde. Verflucht, wo bleibt mein Kaffee?« Vicious warf einen Blick in die Runde und tippte mit dem Finger auf seine Unterlippe. Er trug einen Ehering. Man sollte meinen, dass er seit seiner Hochzeit sanftmütiger geworden wäre. Falsch gedacht.
Plötzlich trat Stille ein. Die Gruppe aus Anzugträgern teilte sich, um drei Männer durchzulassen, die ich aus den Wirtschaftsmagazinen, die bei uns zu Hause herumlagen, auf den ersten Blick wiedererkannte.
Dean Cole, Jaime Followhill und Trent Rexroth.
Die beiden Erstgenannten, die Trent flankierten, waren nur schmückendes Beiwerk. Sie waren einige Zentimeter kleiner als er, schmaler und insgesamt weniger Ehrfurcht gebietend. Es war der mit einem hellblauen Button-down-Hemd und einer hellgrauen Hose bekleidete Trent, der den Raum einnahm und allen die Show stahl. Er sah aus wie Sex auf zwei Beinen, und offensichtlich war ich nicht die Einzige, die das fand, weil mindestens drei Frauen in meiner Nähe ein atemloses Kichern entschlüpfte.
»Spencer.« Einen Becher von Starbucks in der Hand maß Trent ihn mit einem kühlen Blick. »Hast du gerade deine Tage? Reiß dich mal am Riemen. Wir haben Montagfrüh um acht.«
»Ja, wieso bist du so angepisst, V?«, schaltete nun auch Dean Cole sich ein. Sein breites Lächeln bewirkte, dass die Atmosphäre sofort erheblich entspannter und weniger bedrohlich wurde.
»Mäßigen Sie Ihre Ausdrucksweise«, blaffte mein Vater neben mir und verstärkte den Griff um meinen Arm. Ich hatte ganz vergessen, dass er ihn festhielt. Das erste Mal hatte er mich grob angepackt, als ich sechzehn war und mit zwei Ringen in meinem linken Nasenflügel nach Hause kam, und nachdem ich mir ein riesiges schwarzes Kreuz auf den Bauch hatte tätowieren lassen, handelte ich mir blaue Flecken ein. Der Druck seiner Finger war nie allzu fest – wie schon gesagt, misshandelten reiche Leute ihre Kinder nicht –, und er tat es auch nur, weil er wusste, wie sehr ich es hasste, neben ihm zu stehen. Dass manchmal Blutergüsse zurückblieben, war in seinen Augen wahrscheinlich nur ein netter Nebeneffekt.
Das Kreuz hatte keinen religiösen Hintergrund. Es war eine in schwarzer Tinte gestochene Botschaft.
Legt euch nicht mit mir an.
»Die Flachpfeife ist gefeuert. Bis Mittag will ich seinen Laptop auf meinem Schreibtisch. Außerdem seine Passwörter, sein Firmenhandy und seinen Parkausweis. Ich werde den Scheiß jemandem geben, der es verdient. Vielleicht dem Botenjungen, der morgens die Obstkörbe liefert.« Vicious machte eine vage Handbewegung in Russells Richtung, bevor er Jaime einen seiner zwei Kaffeebecher abnahm. Mein Herz krampfte sich zusammen.
Trent schob lautlos mit dem Fuß eine Tür auf, hinter der ich sein Büro vermutete. Es war wahrscheinlich kein schöner Zug von mir, dass ich pure Schadenfreude darüber empfand, wie sie alle meinen Vater mit Missachtung straften. »Niemand wird heute gefeuert. Abgesehen davon haben wir Wichtigeres zu tun. Rein mit euch.«
»Erstens: Leck mich. Zweitens: Erteil mir keine Befehle.« Vicious leerte seinen Becher in zwei langen Zügen und reichte ihn der nächststehenden Person. »Drittens: Ich brauche mehr Kaffee. Und zwar sofort.«
»Vicious …« Jaime räusperte sich, während der Mitarbeiter mit dem Becher zum Aufzug flitzte, um Nachschub zu besorgen.
»Dieser Idiot hat einen Artikel aus der Financial Times kopiert und in unsere Homepage eingefügt. Uns hätte eine Klage oder Schlimmeres blühen können.«
»B-bitte«, stammelte Russell. Seine Schwäche weckte den Blutdurst eines jeden Raubtiers in der Nähe, inklusive meinen. »Es war ein Fehler. Ich hatte nicht die Zeit, den Text selbst zu verfassen. Meine Tochter ist zwei Wochen alt. Sie schläft nachts nicht viel …«
Ich ertrug es nicht länger.
»Zeigt etwas Nachsicht mit dem Mann!«, platzte ich heraus. Ich entwand mich dem Griff meines Vaters, indem ich seine Hand abschüttelte, und ging mit entschlossenen Schritten auf die HotHoles zu. Alle vier sahen mich überrascht an, aber Trent war der Einzige, in dessen Miene sich außerdem Verachtung spiegelte. Ich ignorierte ihn und zeigte mit dem Finger auf Russell.
»Er hat sich entschuldigt. Wieso sollte er absichtlich einen solchen Bock schießen? Kommt schon, er hat eine Familie, für die er sorgen muss.«
»Das gefällt mir.« Cole lachte kopfschüttelnd und gab Spencer einen Klaps auf den Rücken. »Ein Teenager, der sich als Boss aufspielt. Niedlich.«
Mir schoss das Blut in die Wangen. Vicious gab sich gleichgültig. Er schien meine Anwesenheit kaum zur Kenntnis zu nehmen, aber immerhin ersparte er Russell die Entlassung und bedeutete ihm mit einem Handzeichen zu verschwinden, während Trent die Zähne bleckte und seine Aufmerksamkeit mir zuwandte.
»Ist heute der Tag, an dem man seine Kinder mit zur Arbeit bringen darf? Weil ich mich nämlich nicht erinnere, dieses Memo bekommen zu haben.« Das Gift in seiner Stimme hätte gereicht, um einen Wal zu töten. Kühl erwiderte ich seinen Blick, täuschte ein Selbstvertrauen vor, das ich nicht empfand.
Du hast dich soeben zum potenziellen Bauernopfer gemacht, hallten seine Worte in meinem Kopf wider und machten jeden positiven Gedanken zunichte, den ich in Bezug auf ihn und sein Aussehen gehegt haben mochte. Obwohl es nur ein paar Wochen her war, dass er das zu mir gesagt hatte, dämmerte mir erst jetzt, wie problematisch die Zusammenarbeit mit ihm werden könnte.
»Edie wird eine Weile hier aushelfen.« Jordan zog mich wieder an seine Seite, als wäre ich sein Eigentum.
»Sagt wer?«
»Ich sage das.«
»Ich habe das nicht abgesegnet. Keiner von uns hat das.«
»Dann ist es ja gut, dass ich nicht gefragt habe.« Mein Vater lächelte kalt und grub seine langen schlanken Finger in meinen Arm. Ich blen
dete den Schmerz aus. Würde ich einen weiteren Streit mit ihm vom Zaun brechen, könnte es passieren, dass er mich Theo am Samstag nicht sehen ließe, und das wollte ich nicht riskieren. Trent kam auf uns zu, und mit jedem seiner Schritte schien mich eine Strömung zu erfassen, als ruderte ich in stürmisches Gewässer.
»Bei allem gebotenen Respekt für die Klüngeleien der weißen Oberschicht und Ihre Entscheidung, Ihrer unqualifizierten Tochter einen Job zuzuschanzen, für den viele weit besser geeignete Kandidaten töten würden, wird jede wichtige Personalentscheidung mit sämtlichen Partnern abgesprochen. Ist das korrekt?« Er wandte sich seinen Freunden zu, die ernst nickten. Der arme Russell war ganz und gar in Vergessenheit geraten. Sie hatten in mir ein neues, hilf- und rückgratloses Opfer gefunden, das sie peinigen konnten. Eine kleine Maus, die sich in das Reich großer Tiere verirrt hatte.
»Jetzt machen Sie mal halblang, Rexroth. Edie wird als Assistentin fungieren und nicht als Kundenbetreuerin.« Jordan winkte ungeduldig ab, was die Lage nicht besser machte. Sein Griff um meinen Arm wurde so fest, dass meine Knochen sich durch meine Haut bohren wollten.
»Sie wird sich auf dieser Etage aufhalten und Zugang zu unseren Interna haben. Es interessiert mich nicht, ob ihre Tätigkeit darin besteht, in der Küche Bananen zu schälen. Über diese Sache wird morgen bei einer Vorstandssitzung entschieden. Ende der Diskussion«, knurrte Trent.
Alle starrten ihn an, es herrschte eine dunkle Energie im Raum, sirrende Betroffenheit. Der Stumme hatte gesprochen. Nicht nur einzelne Worte, sondern ganze Sätze. Und zwar wegen niemand Geringerem als mir.
Ich hatte ihn endlich gefunden, den Mann, der noch furchteinflößender war als mein Vater. Nicht dass ich nach ihm gesucht hätte. Vicious war zwar ein Krawallmacher, Trent hingegen ein lautloser Jäger, der sich stundenlang geduldig an seine Beute heranpirschte und angriff, wenn man es am wenigsten erwartete.
Ein einsamer Panther. Wild, leise und raffiniert. Seine hellen kalten Augen maßen meinen Vater von oben bis unten, als wäre er Abschaum, bevor sie auf seiner Hand verharrten, die meinen Arm wie ein Schraubstock umfangen hielt. Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand meinem Vater solche Geringschätzung entgegenbrachte. Jordan lockerte den Druck seiner Finger.
»Sie legen es tatsächlich auf einen Streit an«, stellte er ungläubig fest und rieb sich mit den Knöcheln über seine glatt rasierte Wange. Kein Wunder. Er war zu sehr daran gewöhnt, dass meine Mutter und ich uns jeder seiner Launen fügten, weshalb ich mir nicht ganz sicher war, ob ich nicht auf Rexroths Seite stand. Zugegeben, der Stumme wollte mich nicht hier haben, aber ich wollte auch gar nicht hier sein, folglich waren wir auf derselben Wellenlänge. Er blieb so dicht vor meinem Vater stehen, dass ich seinen einzigartigen Geruch nach gepflegtem Mann und wildem Sex wahrnahm. Er verströmte Sinnlichkeit aus allen Poren und brachte mich dazu, schmutzige verbotene Dinge mit ihm tun zu wollen. Angesichts meiner fast schon kranken Reaktion auf ihn fasste ich ein weiteres Mal den Vorsatz, mich von ihm fernzuhalten.
Trent senkte den Kopf und sah meinem Vater in die Augen, dabei flüsterte er mit finsterer Stimme. »Ich würde Sie wegen allem bis aufs Messer bekämpfen, Jordan, und sei es wegen des Kundendienstes für die Kaffeemaschine.«
Feindseligkeit. Dieser Ort war Gift für die Seele. Zum Glück schien Rexroth mich zu hassen, und die HotHoles hielten einander immer die Stange. Das behauptete die Legende an der All Saints High, und ich bezweifelte, dass sie wegen meiner Wenigkeit mit ihrer Tradition brechen würden.
»Na schön«, stieß mein Vater hervor. »Wir regeln das in einer Vorstandssitzung.«
Trents graue Augen versenkten sich in meine blauen. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Vicious den Umstehenden barsch befahl, sich zu verziehen, und mein Vater endlich meinen Arm losließ, um sich zu Jaime und Dean zu gesellen – wahrscheinlich wollte er versuchen, sie als Verbündete zu gewinnen.
»Ich mag dich nicht«, flüsterte Rexroth mir mit rauer Stimme zu.
»Darum hatte ich auch nie gebeten.« Ich zuckte die Achseln.
»Du wirst nicht hier arbeiten.« Sein Arm streifte meine Schulter, und das wohl nicht versehentlich. Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und ließ den Blick über sein Gesicht und seinen Oberkörper gleiten, nur um ihn zu reizen. »Gut, damit tust du mir einen Gefallen. Mein Vater will mich gegen meinen Willen dazu zwingen. Er ist stinksauer, weil ich fünf Elitehochschulen eine Absage erteilt habe. An welcher Top-Uni haben Sie gleich noch studiert, Mr Rexroth?«
Der Schlag unter die Gürtellinie war dazu gedacht, meine angekratzte Würde halbwegs wiederherzustellen, stattdessen stieg mir bittere Galle in der Kehle auf. Trent Rexroth, der sich aus der Gosse San Diegos emporgekämpft hatte, galt in Todos Santos als der Inbegriff einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Er hatte ein miserables staatliches College besucht, das sogar Analphabeten aufnahm, und nach dem Unterricht auf dem Campus als Hausmeister gearbeitet. Das waren die maßgeblichen Fakten, wie er sie selbst im Zuge eines Interviews für das Forbes-Magazin angeführt hatte.
Hatte ich wirklich gerade versucht, ihn herabzuwürdigen, nur weil er nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren war? Dafür schämte ich mich mehr als dafür, dass ich die Designerklamotten meiner Mutter trug.
Trent beugte sich zu mir, er drang in meine persönliche Distanzzone, meine Seele ein. Sein Lächeln war furchterregender als jeder finstere Blick, jedes zornige Stirnrunzeln, jede Grimasse. Es drohte, mich in Stücke zu reißen, bevor er mich ganz nach seinem Gusto wieder zusammenflickte.
»Edie.« Seine Lippen kamen meinem Ohr gefährlich nah. Ein lustvoller Schauer rieselte über meinen Rücken. Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit, es bettelte regelrecht darum, sich in einem Orgasmus entladen zu dürfen. Was passierte hier gerade und warum, zum Teufel? »Falls du weißt, was gut für dich ist, drehst du dich auf der Stelle um und machst dich vom Acker.«
Ich hob den Kopf, sah ihm in die Augen und hielt ihm ein Grinsen entgegen. Ich war in einer von einschüchternd reichen Männern geprägten Welt groß geworden und wollte verdammt sein, wenn ich vor die Hunde gehen würde wie meine Mutter – abhängig von Pharmazeutika, Gucci und einem Mann, der sich zehn kurze, glanzvolle Jahre mit ihr geschmückt hatte, bevor er sie nur noch für öffentliche Auftritte gebrauchte.
»Ich sollte jetzt besser meinen Schreibtisch ausfindig machen. Ich würde Ihnen ja einen guten Tag wünschen, Mr Rexroth, aber ich fürchte, dieser Zug ist abgefahren. Sie sind geradezu erbärmlich. Ach ja, hier, für unterwegs.« Ich kramte einen Müsliriegel aus der Handtasche meiner Mutter und klatschte ihn gegen seine harte muskulöse Brust. Mir pochte das Herz bis zum Hals, es flatterte umher wie ein gefangener Vogel.
Ohne einen Blick zurück zu wagen, eilte ich meinem Vater durch den breiten, in Goldtönen gehaltenen Flur hinterher. Mir war klar, dass ich einen Krieg angezettelt hatte, für den ich nicht gerüstet war. Aber ich hatte noch etwas anderes erkannt, etwas, was mir einen Adrenalinkick wie beim Surfen verschaffte. Wenn Rexroth gegen mich stimmte, wäre mein Job hier passé und ich aus dem Schneider.
Um das zu erreichen, musste ich nichts weiter tun, als mich wie eine Rotzgöre aufzuführen. Der Startschuss war gefallen.
KAPITEL 4
TRENT
Ich aß allein zu Mittag.
Da meine Eltern aus finanziellen Überlegungen auf weiteren Nachwuchs verzichtet hatten (eine Entscheidung, die ich respektierte), war ich als Einzelkind aufgewachsen. Infolgedessen war es beim Essen immer relativ ruhig zugegangen, wenn auch nie totenstill.
Mit echter Einsamkeit hatte ich erst Bekanntschaft gemacht, als Luna aufhörte zu sprechen. Das war kurz nach ihrem zweiten Geburtstag gewesen und hatte meinem ohnehin wackligen Zutrauen in meine Befähigung als alleinerziehender Vater einen gehörigen Dämpfer versetzt. Bis dahin war es eine schwere, aber nicht unerfüllbare Aufgabe gewesen. Ich hatte das Geld und die Mittel, um die besten Kindermädchen auf dem Planeten anzuheuern, meine Eltern, die für mich einsprangen, wenn ich verreisen musste, sowie die tatkräftige Unterstützung meiner Kumpels und ihrer Frau
en, die Luna wie ihre eigene Tochter behandelten. Zudem war ich in der glücklichen Position, so sehr daran gewöhnt zu sein, immer die Arschkarte zu ziehen, dass es mich nur mäßig überraschte, als Val uns sitzen ließ.
Man hatte mich mein Leben lang betrogen.
Um mein Football-Stipendium, als ich ausrutschte und mir den Knöchel brach, weil ein blöder Wichser namens Toby Rowland den Fußboden vor meinem Spind mit Schmierfett eingerieben hatte.
Um meine Freiheit, als Val mir eröffnete, dass sie schwanger sei – woran ich zugegebenermaßen ebenso schuld war wie sie.
Und zuletzt um ein glückliches Kind, als Val sich aus dem Staub machte und Luna bei mir zurückließ.
Doch diese Stille war das Tüpfelchen auf dem i. Sie fraß mich innerlich auf und verwandelte mein eigentlich tiefenentspanntes Ich in einen tobsüchtigen Hitzkopf, dem jedes Ventil recht war, um seinen Zorn zu entladen.
Wegen meiner Tochter war ich zu einem introvertierten, verbitterten Psycho mutiert.
Nach dem Mittagessen begab ich mich in mein Büro auf der fünfzehnten Etage, um meine ellenlange To-do-Liste abzuarbeiten. Ich blieb wie vom Donner gerührt stehen, als mein Blick Edie Van Der Zee auf der anderen Seite meines Schreibtischs erfasste.
Sie saß auf meinem Stuhl.
Mit den Füßen auf meinem zugeklappten Laptop.
Die Absätze provozierend auf mich zeigend.
Die Arme über der Brust verschränkt.
Venus in einem verflixten Kleid. Ein freches Gör, das dringend Hilfe brauchte.
Heute nicht, Schätzchen. Ich habe schon ein Mädchen, das ich retten muss, und es hält mich gehörig auf Trab.
Ich warf meine Aktentasche auf den Schreibtisch und lockerte meinen Schlips. »Du hast drei Sekunden, um deine Füße von meinem Laptop zu nehmen.« Sonst spreize ich dir die Schenkel und lecke dich, dass das ganze Stockwerk es mitkriegt, verkniff ich mir hinzuzufügen.
»Ich glaube dir nicht.« Ihre Augen taxierten mein Gesicht, als versuchten sie, an die vermeintliche Wahrheit hinter der aufgesetzten Fassade zu gelangen. »Als du das letzte Mal die Sekunden gezählt hast, ist rein gar nichts passiert. Ich mag eine Diebin sein, aber Sie, Mr Rexroth, sind ein Schwindler.«